
von Pamela Pabst, gelesen von Ingo Hoppe
»Treffen wir uns am Wochenende wieder zum Lernen?« fragte er Klaudia, die sich angeboten hatte, ihm in den Mantel zu helfen, und traf damit bei ihr ins Schwarze: »Ich hatte eigentlich gedacht!« »Na dann machen wir das auch so, wie du gedacht hast.« »Gehen Sie jetzt nach Hause?« fragte Klaudia schüchtern. »Eigentlich schon! Wieso? Hab ich noch was wichtiges vergessen? Die Berufung...« »Nein, die meine ich nicht«, lachte sie. »Könnten Sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen? Papa geht doch heute zum Klassentreffen, und da...« »Aha, versteh’ schon«, lachte er, und ein wohliges Gefühl durchströmte seinen Körper. Was war sie doch für eine liebenswürdige Person! »Na komm mit mit mir!« »Danke!« juchzte Klaudia und strahlte ihn an. Klaudia war für ihn inzwischen so etwas wie seine große Tochter geworden. Zu Schweiger war sie immer lieb und freundlich, während sie ihrem Vater gegenüber teilweise gehörige Frechheiten an den Tag legte. - Allmählich wurde ihre Freundschaft zu einem Bündnis gegen seine Taktlosigkeiten und zu einem Heilmittel gegen seine Depressionen und sein mangelndes Selbstbewußtsein Fremden gegenüber.
Nachdem er Klaudia auf halber Strecke an einer Bushaltestelle hatte aussteigen lassen, fuhr er nach Hause, wo seine Margot schon auf ihn wartete. Florian war bereits im Bett und Nina durfte zum ersten Mal bei ihrer Freundin Vera übernachten. Es wäre der ideale Abend zum Austausch von Zärtlichkeiten unter »Wieder-Eheläuten« gewesen, doch Margot Schweiger war nicht danach zumute. Sie hatte inzwischen zu Hause begonnen, alte Fotoalben anzusehen. Sie wollte sich zurückerinnern an 1980, wollte sehen, wie der Mann aussah, der Hannah Neelsen sechs Jahre lang um ihre Dienste gebeten hatte.