
von Pamela Pabst, gelesen von Ingo Hoppe
Wilhelm Schweiger fühlte sich lebendig eingemauert. Die gelblich-bräunlich gestrichenen Wände seiner Zelle in der Untersuchungshaftanstalt Moabit – einem Ende des letzten Jahrhunderts erbauten sternförmigen Backsteinbau mit insgesamt fünf Flügeln und einer hohen Mittelhalle, von welcher aus man in jeden Flügel blicken konnte - schienen ihn zu erdrücken. Säße er einige Jahre in Tegel ein, in der geschlossenen Haftanstalt für Männer, dann würden sie ihm vielleicht eine Wand rausreißen, um ihm mit seinem Rollstuhl mehr Platz zu verschaffen, aber hier war er ja nur Übergangsgast. Draußen war es heller Tag, doch hier drinnen war es trüb. Durch das vergitterte Fenster hoch über seinem Kopf dicht unter der Decke fiel nur wenig Licht. Er starrte vor sich auf die glatte, glänzende Wand, die mit Rückständen von Klebestreifen übersät war, und schon die vergangenen drei Minuten kamen ihm vor wie eine Ewigkeit. »Das war’s«, sagte er zu sich, und Tränen brannten auf seinen Augenlidern. Es mochten sechs oder auch sieben Quadratmeter sein, die er nun sein Eigen nennen konnte. Aber hier war er sicher vor den anderen Gefangenen, besonders die Ausländer machten ihm Angst. – Und jeden Abend und jeden Morgen würden sie jemanden vom Haftkrankenhaus herüberschicken, der ihm half. Das kannte er schon. Und er hatte es immer als entwürdigend empfunden, doch davon wußte niemand etwas. Es war ihm unangenehm, daß man sich in der Anstalt so gut an ihn erinnerte, sei es in seiner Eigenschaft als Verteidiger, sei es als Gefangener. Er wäre lieber eine Nummer unter vielen gewesen.