Zwei Leben

Die Strafsache Wilhelm Schweiger

von Pamela Pabst, gelesen von Ingo Hoppe

23. Bremsmanöver  der endgültig letzte Akt

Es schien, als hielten alle im Saal die Luft an, so still war es. Außer dem »klick, Klick« von Doris Aalatts Absätzen und dem Schurren der Rollstuhlreifen auf dem glatten Fußboden war kein Geräusch zu vernehmen. Sie positionierte ihn seitwärts zum Gericht, mit dem Rücken zu Oberstaatsanwalt Ebrach, damit er keinem Verfahrensbeteiligten ins Gesicht schauen mußte, und holte dann die Enden ihres weißen Halstuches unter der Robe hervor. »Stimmt das mit der Größe so ungefähr?« fragte einer der Beisitzer. »Ich denke schon«, antwortete Doris Aalatt, die sich recht gut an Hannah Neelsen erinnern konnte. »So soll sie also vor ihm gestanden haben, und dann nahm laut Anklage mein Mandant die Schalenden...«  Er ergriff den feinen dünnen Stoff, der an seinen vor Aufregung schweißnassen Händen klebte, und dann kam die Erinnerung zurück: »Was willst du hier? Geh weg! Geh weg!«, schrie er sie hysterisch an. »Verschwinde, ich hasse dich!« Seine Stimme überschlug sich. Doch er hatte das Gefühl, daß sie ganz ruhig vor ihm stehen blieb und sich davon nicht beeindrucken ließ. Er wurde aggressiv. Seine Hände griffen zitternd, aber rasch nach einem Ende ihres Schals, doch sie konnte ausweichen. »Bist du verrückt geworden!« fuhr sie ihn an. »Du hast alles zerstört!« schrie er weinend und völlig außer sich, und von äußerster, niemals gekannter Angst gefesselt wuchsen ihm scheinbar ungeheure Kräfte. Als sei es das Letzte, was er noch tun konnte, riß er förmlich an dem weißen Stoff um ihren Hals und sein Opfer stürzte mit einem gurgelnden Laut zu Boden.